Ein Beitrag von Claus von Kutzschenbach und Klaus Frost mit Unterstützung von Monika Barthel, Irmgard Hassenbach und Lothar Weckerling (Fotos: privat)
Wenn man heute als Spaziergänger am Uferweg des Schiersteiner Hafens von Westen kommend den Zielturm passiert, hat man einen ungehinderten Blick auf den Steg 1 des WVS 1921 e.V.: Über 40 gut gepflegte Boote liegen da, in allen Größen und Bauarten. Das älteste Boot stammt aus dem Jahr 1937, das jüngste wurde erstmals 2018 zu Wasser gelassen. Am Ende des Steges setzt das neue Versammlungszelt der Motorbootfahrer einen markanten Blickpunkt. Dahinter folgen die Plattform für die Paddler und der Steg 2 (Segler) mit seinen drei Fingern — alle Stege des WVS wohl geordnet in einer Reihe.
Das war nicht immer so. Der aufmerksame Spaziergänger am Ufer wird vor dem Steg 1 eine Lücke im Geländer finden. Warum das? Ganz einfach: Dort war bis 2005 der Zugang zum Steg 1. Bei der Erneuerung des Geländers wurde die Lücke behalten — das war so im städtischen Plan verzeichnet gewesen und so ein Plan gilt. Unberührt von der längst veränderten Steg-Realität. Denn Steg 1 war inzwischen nach Osten verlängert und der Zugang näher an das Vereinsheim gelegt worden. Nun führt die Geländerlücke ins Nichts und erinnert an frühere Zeiten.
Und frühere Zeiten reichen bei den WVS-Motobootfahrern mittlerweile über 60 Jahre zurück. Doch beginnen wir am Anfang:
1958, Gründung Motorbootabteilung mit Steg: Der WVS besteht schon seit 37 Jahren (siehe Vereins-Geschichte), da schlägt WVS-Mitglied Hans Reinhardt, ein Berufsschiffer, vor, im Verein eine Segel- und Motorbootabteilung zu gründen. Der Vorschlag wird positiv aufgenommen. Mit viel Eigenarbeit bauen Mitglieder einen Niedergang und eine Steganlage für Sportboote, westlich des Didier-Stegs mit den beiden Firmenbooten “Berlin 1” und “Berlin 2”, die unter der Obhut von Hans Reinhardt stehen. Die erste Steganlage besteht aus einer Schwimmpritsche mit sechs Meter langen Baumstämmen (ehemaliger Schwimmsteg) über den ein Eisengestell mit Belag montiert wurde — ein Stahlwinkelgestell auf Schwimmern, oft alten Ölfässern, auf dem Grund verankert. Mit der Folge, dass die Konstruktion bei jeder Veränderung des Wasserstandes nachjustiert werden muss.
1959, die ersten 6 Motorboote liegen am Steg des WVS. Anlieger sind H. Clemens, H. Peter, H. Wilhelmine, H. Ohlbach, H. Weiss, H. Lupp, H. Schneider, H. Berg und der “Affenmann” (Name nicht mehr bekannt), Wirt vom Tatterich in Darmstadt.
1961, Erweiterung, Kanuten halten Steg in der Spur: Ausbau der Steganlage unter Hans Reinhardt durch die Beschaffung des damals außer Betrieb gestellten circa 40 Meter langen Schwimmsteges des Strandbades Rettbergsau. Bei dessen Transport/Überführung (Schleppen mit Vereinsmotorboot “Hans Günter”) helfen drei Kanuten mit, dabei auch der heutige Präsident, Lothar Weckerling, den Steg mit Paddeln in der Spur zu halten. Die ersten Boxen werden mit einfachen ausgestellten Balken/Stämmen hergestellt. Die damals personell starke Kanuabteilung, viele aktive Sportler zwischen 18 und 30 Jahren, unterstützen die Arbeiten zu diesem Ausbau. Die Steganlage bleibt in dieser Struktur bis 2005 bestehen.
1962, die Motorbootabteilung entsteht — unter der Leitung von Hans Reinhardt.
1967, Motor- und Segelabteilung werden zur Segel- und Motorbootabteilung (S+M), die zweite Steganlage wird für Segel- und Motorbote gebaut, für Bootsanlieger wird ein Probejahr eingeführt.
1968, Erneuerung des Stegs mit großem Arbeitseinsatz der Mitglieder (“14 Tonnen Blech für einen 60 Meter langen und 2,20 Meter breiten Hauptsteg”, erinnert sich Klaus Frost). Dieser Steg bietet beiderseits ein Lochsystem im Abstand von jeweils 30 cm, damit in variabler Form die jeweiligen Auslegerstege, die nach wie vor in Gemeinschaftsarbeit der Steganlieger hergestellt werden, bootsbreitengerecht angedockt werden können.
1971, erster Motorbootwart: Bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung der S+M‑Abteilung werden erstmals ein Abteilungsleiter, ein Motorbootwart und ein Segelwart gewählt und kommissarisch durch den Vorstand bis zu den nächsten Vorstandswahlen eingesetzt.
1972, Fertigstellung neue Steganlage 1.
1976: Steg 1 wird weiter ausgebaut. Der Steg wird für die damalige Zeit immer komfortabler gestaltet. Unter anderem wird die Steganlage mit Strom und Trinkwasser versorgt. Alle Liegeplätze von Booten, die Stromverbrauch haben, müssen mit Zählern ausgerüstet sein, damit der verbrauchte Strom mit dem Verein abgerechnet werden kann. Außerdem werden — immer in Eigenleistung der Steganlieger — Lampenmasten für die Stegbeleuchtung gebaut und montiert. Ebenso die erforderlichen Wasserzapfstellen. Eine Konstruktion aus Stahl bringt jedoch auch Nachteile mit sich. So müssen mit großem Engagement aller Anlieger jährlich Abschnitte der Steganlage ausgeschwommen, entrostet, nachgebessert und mit geeigneter Farbe saniert werden. Wegen dieser Wartungen werden kontinuierlich Ersatzschwimmer gebaut und wechselweise über Saisonintervalle eingefügt.
1987, das Zelt: Bis dahin fand das gesellschaftliche Miteinander der Steganlieger im Vorbeigehen oder an kleinen Tischen mit Bordstühlen statt. Der Wunsch nach einer eigenen Versammlungsstätte am Steg wird lauter. Klaus Frost macht den Vorschlag, unter Verwendung der vorgenannten Ersatzschwimmer (12 Stück waren erforderlich) als Plattform ein stabiles verzinktes Stahlrahmengestell für ein Zelt zu bauen und zu spendieren. Allerdings soll die Abteilung mit einer Umlage eine solide Plane finanzieren (damals 7.000 DM). Der Vorschlag wird von den Anliegern einstimmig angenommen. Das Zelt wird gezeichnet, diese Zeichnung dem Vorstand vorgelegt und nach dessen Zustimmung gebaut (siehe auch Beitrag über das Steg-1-Zelt).
Seit dieser Zeit gibt es an Steg 1 eine schwimmende Versammlungsstätte, das Steg-1-Zelt. Ein Raum für Treffen im Sommer und Winter in dem man unabhängig vom Wetter über sämtliche Stegbelange und Fahrtenberichte reden und nach Herzenslust Seemannsgarn spinnen kann.
1989, Dalben werden eingerammt und die Schwimmstege daran festgemacht. Die Verankerung der Stege ist damit überflüssig geworden und so auch das Nachjustieren bei wechselnden Wasserständen — eine große Erleichterung. Der letzte diesbezügliche Arbeitseinsatz ist das mühsame Ziehen der schweren alten Ketten, das Verholen der Anker und das Verschrotten dieser Tonnenfracht. Die 1979 errichteten Lampenpfosten werden ebenfalls demontiert und die Lampen komfortabel auf die Dalben aufgesetzt.
2002, Abwassertanks für Anlieger: In der Jahreshauptversammlung des WVS wird beschlossen, dass Liegeplätze nur noch an Eigner mit Abwassertanks vergeben werden und die vorhandenen Eigner binnen fünf Jahren die Abwassertanks einbauen müssen.
2004, Stegerweiterung: Da das intervallmäßige Ein- und Ausschwimmen sowie das jährliche Überholen der Stahlschwimmkörper den Anliegern immer schwerer fällt, entschließt sich der Verein, unter finanzieller Beteiligung der Anlieger die 30 Jahre alten Stahlschwimmer gegen neue, nahezu wartungsfreie Betonschwimmer zu ersetzen. Die Planung und Ausschreibung erfolgt 2004 durch Monika Barthel, in Abstimmung mit der Abteilungsleitung Karl-Heinz Koch und Karl-Heinz Holzhäuser sowie dem Vereinsvorstand. Eine Erweiterung der Steganlage um 19 Meter Richtung Osten kann dabei außerdem vorgenommen werden: Der Steg der Firma Dauster (ehemaliger Didier-Steg) wird in das Vereinsgelände integriert, im Zuge eines Kontingente-Tausches bekommt Dauster dafür die neue Marina im Osthafen. Damit wächst die Anzahl der Stellpätze von 35 auf 46. Zudem bietet sich die Verlegung des Zugangs und des Zeltes an das östliche Kopfende des neuen Steges an.
2005, im Frühjahr wird die neue Steganlage durch die Firma Alefelder Wassersportanlagen eingeschwommen und montiert. Um Kosten zu sparen wird ein Teil der alten Auslegerschwimmer beibehalten und nur mit passenden neuen Holzbelägen versehen. Die Halterungen für die neuen Elektro-Verteilungen baut Klaus Frost, die Elektro-Verkabelungen erfolgen unter Aufsicht von Dieter Beckert, Steganlieger an Steg 2, die Wasserversorgung führt ein Fachunternehmen aus. Zur Senkung der Gesamtkosten führen die Anlieger des Steges 1 in Absprache mit dem Steglieferanten diverse Arbeiten in vielen Arbeitsstunden selbst durch.
In diesen Jahren (2005/2006) erfolgt auch Erneuerung der Steganlage 2 mit Erweiterung auf 78 Liegeplätze inklusive der Drachenboote. Damit verfügt der Verein über 130 Liegeplätze für Motor- und Segelboote.
2008, Entsorgungsstation: Als Beitrag zum Schutz unserer Gewässer installiert der WVS mit Unterstützung der Firmen Huhle Stahlbau und Dauster sowie des SCW eine Absaug-/Entsorgungsstation für Fäkalien und Abwässer aus Segel- und Motorbooten. Die Anlage wird auf dem Steg der Stadt Wiesbaden neben dem Feuerwehrlöschboot installiert und steht ab 2008 allen Mitgliedern, Gästen und Anliegern im Schiersteiner Hafen kostenlos zur Verfügung. Die Anlage wird von der Stadt Wiesbaden mit einem Baukostenzuschuss unterstützt.
2014, Stürme: Im Juli 2014 zerstört ein starker Sturm das Vorzelt am Steg 1. Das Versammlungszelt aus 1987 verkraftete dieses Naturereignis (ebenso wie den legendären Sturm Kyrill am 18.01.2007).
2016, höhere Dalben: Da die unangenehmen Wettererscheinungen der letzten Jahre (in unserem Falle Hochwasser) immer spektakulärer werden und das in Zukunft weiterhin zu befürchten sein wird, werden sämtliche landseitigen Dalben ( mit Versetzen der Lampen ) um einen Meter erhöht. Auf den Dalben werden 2017 LED-Leuchten montiert.
2016–18, das neue Zelt: Die bis dahin 30jährige Plane des Versammlungszeltes zeigt starke Ermüdungserscheinungen. Sie ist hart und spröde und das immer noch intakte Gestell müsste dringend mit einer neuen Haut überzogen werden. Hinzu kommt noch, dass die neue Betonschwimmerfläche 80 cm breiter als die ursprüngliche Fläche der Stahlschwimmkörper ist (beides systembedingt). Da man aber an Steg 1 alles andere als halbe Sachen machen will, entschließt sich der Abteilungsvorstand, noch einmal eine ganze Sache zu machen und auf ein neues, zum Betonschwimmkörper passendes, Versammlungszelt mit neuer Plane hinzuwirken. Die Steganleger begrüßen die Idee — und akzeptieren auch einen dreijährigen Sparkurs zur Finanzierung des Neubaus.
Damit schließt die Historie wieder an die aktuelle Chronik an: Zwischen Februar und April 2018 wird das neue Zelt errichtet (siehe “Leben am Steg 1 ‑Foto-Chronik / Arbeitseinsätze Steg 1, Februar-April 2018”). Im November werden 60 Jahre Motorboot im Wassersport-Verein Schierstein 1921 e.V. gefeiert und Klaus Frost zum Ehrenmitglied von Steg 1 ernannt. November 2018
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Abteilungsleiter seit 1958:
- Hans Reinhardt 1958–1968
- Herr Birkel 1968–1970
- Uli Bischoff 1970–1983
- Dieter Russ 1983–1989
- Herr Bernhard 1998–1990
- Helmut Wohlrath 1990–2000
- Karl-Heinz Koch 2000–2004
- Klaus Frost 2004–2018
- Manfred Edingshaus 2018–2021
- Eric Russert und Karl-Heinz Koch ab 2021
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Und weiter geht’s. Ereignisse der Mo0torboot-Chronik 60+:
2019, ein schönes Jahr am Steg 1: Mit effektiven Arbeitseinsätzen, feinen Feiern, hübschem Bootskorso zum Hafenfest (7 machten mit), einer Abfahrt nach Bingen, Nikolaus und sogar einem Anfeiern des Heiligen Abends im Zelt. Bilanz der Motorbootfahrer 2019: Fernreisen von rund 9.000 Kilometern und 735 geleisteten Arbeitsstunden.
2020, alles ganz anders: Am frühen Morgen des 24. Februar brennt die Motoryacht „Orotava“ völlig aus, beschädigt die Nachbaryacht am Steg und zwei Trainingsboote der Rennkanuten am Paddelsteg (wohin die brennende „Orotoava“ getrieben war). Brandursache unbekannt, glücklicherweise keine Umweltschäden – noch am selben Tag wurde das Wrack zu einer Werft geschleppt.
Im März breitet sich die Corona-Pandemie aus und legt das sportliche und gesellige Leben im WVS völlig lahm.
Im Mai erscheint erstmals das neue WVS-Logo auf Flaggen und Bootsbeschriftungen.
Immerhin noch schöne Abfahrt im September mit Päckchenbildung und Kaffee und Kuchen in der Eltviller Aue.
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Aktuelle Ereignisse stets unter “Leben am Steg 1” (Link)