SY ANITA: Der Schrecken der Mitbewerber

2024 war ich das Bade­segeln etwas leid und inter­essierte mich für eine sportlichere Vari­ante unseres schö­nen Sports … So begin­nt ein span­nen­der Törn­bericht von Ralf Hei­dger, den wir hier für alle Fre­unde des “echt­en Segelns” in voller Länge veröffentlichen:

In unser­er Nach­barschaft, in Wal­luf, betreibt der Segel­club Rhein­gau (SCR) eine 12mR Yacht von Abek­ing & Ras­mussen aus dem Jahr 1938, die wie andere 12mR für die Teil­nahme an Regat­ten gebaut wor­den war. Die ANITA ist fast 22 Meter lang, mit ein­er Wasser­lin­ie von 14 Metern und hat eine Rumpfgeschwindigkeit von etwa 9 kts, ein Langkiel­er mit 2,80 m Tief­gang aus Stahl mit Holzbe­plankung, mit einem 26 Meter hohen Holz­mast, Bermu­da-Take­lage mit einem 95m² großen Gen­ua, 130 m² großem Haupt­segel, und etwa 3,60 m Bre­ite. Mit Krän­gung wird ihre Wasser­lin­ie deut­lich länger, und sie kann 11 – 12 kts erre­ichen. Der schmale lange Riss macht das Schiff ele­gant und schnell, eine Kom­bi­na­tion, die mich sehr anspricht. Schon im Win­ter 2023 fragte ich beim Vere­in den Törn­plan für 2024 an und buchte mich dann für den 13. bis 19. 7. 2024 für den Abschnitt von Kopen­hagen nach Kiel ein. Der Törn ging dann von Kopen­hagen nord­wärts nach Helsin­go­er, von dort nach Hun­dest­ed, über den Store­belt nach Ebeltoft in Jüt­land, als näch­stes nach Juels­minde, von dort durch den Lille­belt nach Dyvig auf Als, dann weit­er durch Son­der­borg an die Schleimün­dung bei Olpenitz, und von dort schließlich in die Kiel­er Förde hinein zum Liege­platz nach Stick­en­hörn. Bei über­wiegend süd­west­lichen Winden war das gegenüber einem Kurs durch die dänis­che Süd­see die bessere Option.

Die ANITA segelt die Sai­son von etwa April bis Okto­ber vor allem in der Ost­see, hoch nach Stock­holm und ins Baltikum, passiert den Schären­garten, Got­land, Born­holm und die dänis­che Insel­welt, taucht auch vor Rügen und Use­dom auf, je nach­dem wie die Winde ste­hen. Abschnittsweise wer­den Teil­nehmer und Skip­per gewech­selt, mal ste­ht eher Regat­tawet­tfahrt, mal eher sportliche Über­führung mit Aus­bil­dung im Vorder­grund. „Rund Fünen“, „Got­land Rund“, „Sand­hamn Race“ und andere Ren­nen auf der Ost­see macht die ANITA unsich­er, denn sie ist ein echter Ren­ner und ein Schreck­en der Mit­be­wer­ber. Von zen­traler Bedeu­tung ist dabei auch die Jugen­daus­bil­dung, damit die ANITA auch in Zukun­ft weit­er Inter­essen­ten find­et und unter­hal­ten wer­den kann.

An Bord des Regat­taseglers SY “Ani­ta”, Bau­jahr 1938, ein echter Ren­ner, auf Halb­wind­kurs (bei Gillele­je) — in Bild­mitte die imposan­ten Gen­ua- und Großsegel-Winschen
Kurs mit den Tage­se­tap­pen der SY “Ani­ta”

Vier dicke Fest­macher­leinen, mit Pal­stek an Land befestigt

Wir fliegen nach Kopen­hagen, fahren vom Flughafen im Süden der Stadt mit dem Taxi in einem großen Bogen rund ums Zen­trum zum Tuborg Havn, ein­er mod­er­nen Hafe­nan­lage im Nor­den Kopen­hagens, wo die Crew des Vor­ab­schnittes die ANITA fest­gemacht und hin­ter­lassen hat. Die Tax­i­fahrt ist mit umgerech­net über 100 € recht teuer (ca. 770 DKK), aber wir sind zu Dritt, und mit dem ganzen Gepäck ist es so deut­lich beque­mer als mit der S‑Bahn und dem Bus und mehreren nöti­gen Umstiegen. Wir sind an diesem Sam­stag­mor­gen die let­zten unser­er Crew, ins­ge­samt 8, und die ersten haben bere­its am Fre­itag Lebens­mit­tel eingekauft und ver­staut, die Kojen belegt, das Schiff vor­bere­it­et. So ist es nur noch erforder­lich, Wass­er und Diesel aufzunehmen.

Der Skip­per weist uns ein, die Tankstelle liegt ger­ade am Steg gegenüber, mit ein paar kurzen Impulsstößen und passen­dem Wind zum Treiben brin­gen wir die ANITA 20 Meter rüber, machen fest und tanken. Die ANITA wird typ­is­cher­weise mit 4 dick­en Fest­macher­leinen von ca. 15 bzw. 25 m mit Pal­stek an Land befes­tigt, jede Leine wiegt etwa 20 kg. Ein­holen beim Able­gen wäre daher zu müh­sam, es springt ein­er an Land und macht die vor­bere­it­eten Leinen mit Pal­stek fest bzw. wirft sie los und die Leinen zurück aufs Schiff. Das Anlege­manöver begin­nt meist mit der Vor­spring, dann kann der Skip­per beim Anle­gen in die Vor­spring ein­dampfen, wird dann fort­ge­set­zt mit der Achter­leine, dann die Vor­leine und die Achter­spring. Die Justierung der Leinen­länge erfol­gt auf dem Schiff, beim Bele­gen der Klam­p­en. Man muss gewär­tig sein, dass die ger­ade vorgenommene Bele­gung immer noch mal nachko­r­rigiert wer­den muss, um Lose aus den Leinen zu ziehen. Von kleineren Schif­f­en wie Sharks, Bavarias und Hans­es kenne ich die Bevorzu­gung des Fest­machens an Land auf Slip, ohne Knoten, und zweima­liger Bele­gung der Klam­p­en auf dem Schiff. Bei der Dicke der Fest­macher­leinen hier geht das gar nicht richtig, ein merk­lich­er Unterschied.

Die Gen­ua wird von 2 bis 3 Crewmit­gliedern hochgezogen

Mit­tags machen wir uns auf den Weg durch den Oere­sund nach Helsin­go­er. Es frischt auf, die ANITA bekommt Krän­gung. Wir justieren die Stel­lung des Großsegels. Bei einem Wen­de­manöver ist es bei diesem Schiff auch nötig, die Back­sta­gen entsprechend zu justieren (auf der Luv­seite lock­ern, um dem Baum Platz zu lassen, auf der Lee­seite straff anziehen, um nicht den Mast zu ver­lieren). Mit Jay­lines sind die Back­sta­gen oben sowohl an Mit­tel- wie Ober­sal­ing befes­tigt. Das Vorsegel wird noch gewech­selt. Die Segel wer­den in 10 m lan­gen Säck­en im Vorschiff auf­be­wahrt und mit Tal­jen durch eine Luke nach unten oder oben gezo­gen. Ist die neue Gen­ua an Deck, wird sie erst ein­mal aus dem Segel­sack geschält. Dabei muss der Sack mit Bänd­seln an der Tasche an der Rel­ing befes­tigt wer­den, damit er nicht davon­fliegen kann. Die vorherige Gen­ua wird herun­terge­lassen, zusam­men­gelegt und in ihrem Sack ver­staut. Dann wird sie nach unten gezo­gen. Die neue Gen­ua wird von 2 bis 3 Crewmit­gliedern hochge­zo­gen, dabei ziehen 1 oder 2 das Gen­u­afall am Mast, und 1 ste­ht bere­it, mit der Win­schkurbel nachzuziehen, was vor allem für den let­zten Meter Segel­höhe notwendig ist. Eine Gen­ua ist etwa 45 kg schw­er und benötigt zum Hantieren 3 Leute. Fol­glich muss man die Betuchung genau pla­nen, denn ein­fach so mal wech­seln ist höchst anstrengend.

Wir segeln mit etwa 8 bis 9 Knoten nach Nor­den, auf hal­ber Strecke wird es sehr neblig, und man kann prak­tisch keine Land­marken mehr erken­nen. Das Steuern erfol­gt jet­zt nach dem vorgegebe­nen Track auf dem Ray­ma­rine Nav­i­ga­tion­ssys­tem. Wir müssen uns dabei von dem Verkehrstren­nungs­ge­bi­et zwis­chen Helsin­go­er auf der dänis­chen und Hels­ing­borg auf der schwedis­chen Seite frei­hal­ten, denn es ist reich­lich Trans­port- und Fährschiffsverkehr auf dem Oere­sund unter­wegs. Das bedeutet abschnittsweise eher einen Kurs von 355°, dann näher an Helsin­go­er dran einen Kurs von etwa 5°. Ich merke beim Steuern gegenüber den Erfahrun­gen mit meinen bish­eri­gen Booten, dass ANITA mit etwas mehr Verzögerung reagiert, und muss auf­passen, dass ich nicht durch zu starke Ein­schläge am Steuer­rad eine Über­s­teuerung („Regeloszil­la­tion“) verur­sache. Das let­zte Stück und das Anlege­manöver im Hafen von Helsin­go­er unmit­tel­bar vor Ham­lets berühmtem Schloss übern­immt zum Glück wieder unser Skip­per, denn für die Abmes­sun­gen der ANITA fehlt es mir an Erfahrungen.

Wie gewöhn­lich hat die ANITA Schräglage

Der näch­ste Tag führt uns nach aus­führlichem Muse­ums­be­such von Helsin­go­er nach West­en die Nord­küste See­lands ent­lang nach Hun­dest­ed. Hun­dest­ed ist eine Hafen­stadt auf See­land, die auf der östlichen Seite des Ein­gangs in den Ise­fjord liegt, von dem aus südlich der Stadt der Roskilde-Fjord abzweigt. Wir kom­men auch an dem Hafen Gillele­je vor­bei, wo die SY ANITA vor Jahren von Grund auf ren­oviert und von ein­er Yawl auf eine Slup umge­takelt wurde. Wir haben son­niges Wet­ter mit teil­weise bedeck­tem Him­mel und guten Süd­west­wind, so dass wir mit einem Halb­wind­kurs zügig vorankom­men. Wie gewöhn­lich hat die ANITA Schräglage. Hin­ter der Küsten­nord­spitze bei Gillele­je kommt der Wind sehr vor­lich, so dass wir vor Hun­dest­ed fleißig Wen­den fahren. Das beansprucht uns vor allem an den bei­den Gen­ua-Win­schen. Koor­diniertes Agieren und gutes Tim­ing ist notwendig: Der Steuer­mann darf nicht zu schnell durch den Wind gehen. An der Win­sch sollte die „alte Schot“ erst los­ge­wor­fen wer­den, wenn die Gen­ua etwas back ste­ht, das unter­stützt die Wende des Schiffs und dann kommt die Gen­ua mit Schwung auf die neue Seite. Dann ist so schnell wie möglich die Gen­u­aschot auf der Lee­seite anzuziehen und mit 3 bis 4 Win­dun­gen auf der Win­sch zu bele­gen, um den Rest der Segel­straf­fung bre­it­beinig ste­hend – Achtung wegen wech­sel­nder Krän­gung — mit der Win­schkurbel zu erledi­gen. Dabei ist höl­lisch darauf aufzu­passen, dass man auf der Win­sch keine Über­läufer pro­duziert. Auf einem kleinen Boot kann man das durch einen kurzen Schlenker in den Wind und wegen den gerin­geren wirk­enden Kräften noch leicht kor­rigieren, auf diesem Schiff ist das nahezu unmöglich und nur mit ein­er größeren Anstren­gung zu beheben. Ähn­lich ist beim Fieren aufzu­passen: man presst seine flache Hand auf die Leinen­win­dun­gen auf der Win­schtrom­mel, während man das Leine­nende aus dem Self-Tail­er am oberen Ende der Win­schtrom­mel nimmt und fiert.

Wein­brand für die schw­eren medi­zinis­chen Fälle

Wie in fast jedem Hafen kochen wir in Hun­dest­ed an Bord selb­st. Die Kom­büse befind­et sich direkt steuer­bor­ds am Nieder­gang. Nach hin­ten liegt die Skip­perka­jüte mit zwei Kojen, gegenüber der Kom­büse Waschraum und Toi­lette, nach vorn fol­gt der Salon, dann eine Kajüte mit 4 Schlaf­plätzen, und schließlich das Vorschiff mit Rohrko­jen, die sich mit den Segel­säck­en den Platz teilen. Die Kom­büse ver­fügt über 2 kar­danisch aufge­hängte Gash­erde mit 4 Flam­men, einen Wasserkocher, eine Spüle mit Pumpe, zahlre­iche Schubladen und Schapps, Hak­en zum Aufhän­gen der Bech­er mit ANI­TA-Motiv­en, und ein­er voll­ständi­gen Ausstat­tung mit Töpfen, Pfan­nen, Tellern, Besteck und Gläsern. Schiff­s­sitte ist auch eine Vol­lausstat­tung mit Gewürzen, Süd­wein, Aper­ol, Gin und Wein­brand für die schw­eren medi­zinis­chen Fälle. Für alle anderen Wehwe­hchen gibt es eine aus­geze­ich­net aus­ges­tat­tete Bor­dapotheke, wo sich die Fachken­nt­nis der ver­schiede­nen Ärzte unter den Mit­gliedern im Vere­in ver­wirk­licht hat. Die Bevor­ratung in den Schapps umfasst Nudeln, Reis, Müs­li, Fer­tig­sup­pen, Soft­getränke und reich­lich Wein und Bier, was uns also trotz der üblichen skan­di­navis­chen Ein­schränkun­gen in dieser Hin­sicht kaum Gren­zen aufer­legt. Die eine oder andere Wein­flasche wird entsprechend niedergemacht, und wir lassen in den Häfen immer viel Leergut zurück. Neben dem abendlichen Aper­ol- und Weinkon­sum gibt es auch immer den Ablegerschluck mit Sher­ry oder Port für uns selb­st und den Gruß an Ras­mus, sowie das Anlegerbier am Ende des Segelt­ages, nach­dem wir uns aus dem nassen  Seezeug geschält haben. Nur an Grünzeug, Gemüse und Obst herrscht ein gewiss­er rel­a­tiv­er Man­gel, aber Sko­r­but soll ja erst nach 8 bis 12 Wochen ein­set­zen, und wir haben offen­bar andere Pri­or­itäten definiert.

Das Kochen an Bord fol­gt einem sehr vernün­fti­gen Regel­w­erk: Schmack­haft und gut gewürzt, möglichst in einem Topf oder max­i­mal zweien bzw. ein­er Pfanne gekocht oder gebrat­en, keine „Haute Cuisine“-Ambitionen wegen der anschließend in größerem Umfang zu beseit­i­gen­den Fleck­en und Fettspritzer und über­mäßigem Wasserver­brauch, das Fer­tigzeug nur während der Fahrt mit­tags als Snack, denn etwas Warmes im Bauch tagsüber tut bei den ersten drei Regen­t­a­gen ein­fach gut, dazu belegte Brote und einen Apfel und dann passt das. Abends kocht­en wir ein schon vor­bere­it­etes und mit­ge­bracht­es Szegedin­er Gulasch mit Kartof­feln, Spaghet­ti Car­bonara, Maultaschen mit geschmelzten Zwiebeln, Bra­treis mit Kurku­ma, Pilzen, Zwiebeln und Hack­fleisch, Spaghet­ti mit Cabanos­si, Zwiebeln und Tomat­en, Eis­bergsalat mit Tomat­en, Zuc­chi­ni und Zwiebeln, Lin­sen­salat mit Olivenöl, Cabanos­si, Ei, Zwiebeln und Cur­ry­paste, und als Snacks gab es Käse­plat­te mit Orangensenf und Nüssen, belegte Brote mit Gurken, Fer­tig­sup­pen und Wiener Würstchen mit Senf.

Alle in Seezeug und Schwimmweste zwis­chen Hun­dest­ed und Jüt­land auf Kurs Rich­tung Ebeltoft
Der „lange Jan“ am Wes­t­ende der lan­gen Landzunge von See­land. Danach gab es mehr Seegang

“Tüten­suppe” und das Leben und Ster­ben von Kanonieren

Das Seeland’s Reff, eine lange dünne Landzunge am Nord­wes­t­ende von See­land, erstreckt sich bis zum „Lan­gen Jan“, einem Leucht­turm in der Ost­see, dessen Sek­tor­licht die Untiefen in der Umge­bung anzeigt. Wir machen einen lan­gen Schlag von Hun­dest­ed rüber nach Ebeltoft auf Jüt­land. Die lange Landzunge schirmt uns ab von dem Fetch des Süd­west­windes, und kaum haben wir die Abdeck­ung ver­lassen, kriegen wir ordentlich See­gang und Gis­cht. 100 km nördlich von uns liegt irgend­wo das berüchtigte Skager­ak mit seinen Kreuzseen, und man kann sich bei unseren weitaus weniger anspruchsvollen Bedin­gun­gen aus­malen, wie es auch noch sein kön­nte. Auf das Stich­wort „Tüten­suppe“ fängt ein­er der Crewmit­glieder an, sich zu übergeben, und wir müssen ihn erst mal mit dem Kara­bin­er an der Rel­ing ein­pick­en, damit er nicht bei der üblichen Ermü­dung und Konzen­tra­tionslosigkeit bei Seekrankheit von Bord fällt.

Die kleine Insel Hjelm vor dem Ebeltoft Vig ver­langt uns mit seinen Untiefen noch einige Wen­de­manöver ab. Wir beobacht­en eine englis­che Yacht mit ähn­lichen Prob­le­men wie wir. Abends gegen 20 Uhr erre­ichen wir dann Ebeltoft und machen unmit­tel­bar vor Muse­um und Muse­umss­chiff am Kai fest. Unserem Seekranken geht es auch wieder gut, eine robuste Natur.

Am näch­sten Mor­gen schauen wir uns das Muse­um und die Fre­gat­te „Jyl­land“ genauer an. Im Muse­um gibt es ähn­lich wie in Helsin­go­er jede Menge Schiff­s­mod­elle, und hier wer­den zusät­zlich noch die Ver­hält­nisse auf einem frühen Dampfer und auf dem Kanonen­deck eines Kriegss­chiffes erk­lärt. Die „Jyl­land“ war an dem Seekrieg des preußisch-dänis­chen Krieges Feb­ru­ar bis Okto­ber 1864 beteiligt und in einem Gefecht vor Hel­goland gegen die Preußen und Öster­re­ich­er nach kurz­er aber heftiger Kanon­ade erfol­gre­ich. Die Ver­hält­nisse für einen Kanon­ier auf dem Kanonen­deck eines Kriegss­chiffes mag man sich heute nicht mehr vorstellen: das ohren­betäubende Gebrüll der Kanonen und Ein­schläge, die umher­fliegen­den Fet­zen von Granat­en, Kam­er­aden und Holzs­plit­tern, die Zufäl­ligkeit des Lebens oder Ster­bens in ein­er hal­ben Stunde des Gefechts, und das Chaos und die blutige Sauerei hin­ter­her. Der dänis­che Maler Chris­t­ian Moel­st­ed hat das in einem großen Ölbild in dem Muse­um fest­ge­hal­ten, und ich ste­he lange sin­nierend davor. Auch das aus­gestellte Schiff illus­tri­ert durch seine detail­treue Ausstat­tung die dama­li­gen Ver­hält­nisse an Bord. Am Ende gewan­nen aber doch die Preußen und Öster­re­ich­er durch die erfol­gre­iche Erstür­mung der Düp­pel­er Schanzen bei Son­der­borg, und die geschwächte dänis­che Armee musste sich geschla­gen geben. 2 Jahre später schlu­gen die Preußen die Öster­re­ich­er im Deutsch-Deutschen Krieg, und 1871 rief Bis­mar­ck in Ver­sailles nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankre­ich das deutsche Reich aus.

Leichtsinn kön­nen wir uns nicht leisten

Von Ebeltoft geht es dann in recht ver­reg­neten Bedin­gun­gen süd­wärts die Küste Jüt­lands ent­lang nach Juels­minde. Wir fol­gen genau der Beton­nung, denn wegen den Untiefen müssen wir einige Hak­en schla­gen. Die Route wurde vorher im Nav­i­ga­tion­ssys­tem genau aus­getüftelt und abgelegt, eine wesentliche Erle­ichterung für diesen Part des Törns, und wir kön­nen oben­drein noch voll unter Segeln laufen, ohne den Motor anzuw­er­fen. In Juels­minde kom­men wir bei son­niger Abend­stim­mung an und machen fest. An der Hafen­mole kom­men Men­schen zusam­men, um der Ein­hol­ung der dänis­chen Flagge beizu­wohnen — und den einen oder anderen ver­stohle­nen Blick auf das schöne deutsche Tra­di­tion­ss­chiff zu wer­fen, das vor ihrer Nase angelegt hat. Eine junge Dänin in Uni­form spielt dazu die dänis­che Hymne auf dem Horn. Wir leg­en dem Baum der ANITA den Son­ntagsstaat an und stellen uns auch in Rei­he auf, damit es ein ordentlich­es Bild gibt.

Eine son­nige verträumte Stim­mung ist in Juels­minde, und wir schlen­dern auch gemütlich in dem Örtchen herum. Ein Teil der Crew ergreift die Gele­gen­heit zum Einkaufen, und es gibt fol­glich einen frischen Salat. Auch hier sind die san­itären Ein­rich­tun­gen für Freizeit-Seeleute in gutem Zus­tand wie über­all bish­er in Däne­mark, und wir nutzen das aus­giebig. Im Hafen liegt auch ein hüb­sches Plat­t­bo­den­schiff, und hin­ter uns kommt später am Abend eine Moto­ry­acht mit Unter­wass­er-Beleuch­tung an. Dem muss ich natür­lich hier mehr Rech­nung tra­gen als dem Tra­di­tion­ss­chiff, denn für mich ist die Unter­wass­er-Beleuch­tung seltener.

Von Juels­minde auf Jüt­land geht es am näch­sten Vor­mit­tag nach Dyvig weit­er auf der Insel Als. Dazu müssen wir den Lille­belt bei Mid­del­fart durch­fahren. Die Umge­bung ist sehr malerisch, über­all kleine Inseln und in den Son­nen­lück­en leuch­t­ende Felder vor manch­mal dun­klem regen­schw­eren Him­mel, wir müssen aber auf die Ton­nen acht­en, um nicht in Untiefen zu ger­at­en. Unsere 2,80 Meter Tief­gang schränken unseren Spiel­raum doch deut­lich ein, und manchen Leichtsinn kön­nen wir uns nicht leis­ten, den wir uns auf kleineren Booten erlauben könnten.

ANITA unter­quert die Lille­belt-Brücke bei Middelfahrt

Der kleine Belt tren­nt die Ost­seein­sel Fünen vom Fes­t­land. Bei Mid­del­fart span­nt sich die grandiose Lille­baelt Broen (1970) übers Wass­er. Diese Brücke wurde dann 1998 übertrumpft durch die Brücke über den Store­belt von Nyborg auf Fünen nach Hal­skov auf See­land, und diese dann schließlich 2000 durch die von Kopen­hagen über den Oere­sund nach Malmö in Schwe­den. Wegen der dänis­chen Brück­en­baukun­st kann man seit­dem mit dem Auto von Deutsch­land nach Schwe­den fahren, ohne eine Fähre benutzen zu müssen.

Wir fahren die Win­dun­gen des Belts unter Motor ab, und hin­ter Mid­del­fart, wo sich der Belt etwas öffnet und ver­bre­it­ert, set­zen wir wieder Segel. Eine 412er Yacht und eine 40er Bavaria segeln keck und schnit­tig an uns vor­bei. Wir schließen gelassen unsere Arbeit am Segelset­zen ab, und demon­stri­eren dann ganz cool, wie Länge läuft. Nach ein­er Vier­tel­stunde liegen bei­de Schiffe über 10 Boot­slän­gen hin­ter uns. Mit hohem Tem­po geht es Rich­tung Als, wo wir am Dyvig Bad­ho­tel fest­machen wollen. An diesem Tag kom­men wir über die 10 Knoten-Marke.

Wir fol­gen unter Motor den Steck­en durch die Untiefen vor Dyvig, ein­er Idylle auf Als. Der dänis­che Reed­er und Mil­liardär Karl Michael Jeb­sen hat sich hier in sein­er Heimat ein Luxu­shotel mit Mari­na im tra­di­tionellen skan­di­navis­chen Stil neu bauen lassen. Das Innere ist stil­voll, es gibt eine gemütliche Wirtschaft und ein Gourme­trestau­rant. Eine kurzfristig gebuchte Nacht ist für 1000 € pro Zim­mer zu haben, die gewöhn­lichen Preise liegen bei 350 bis 450 €.

Der weit­ere Weg führt uns am näch­sten Mor­gen weit­er durch den Als Fjord in den Als Sund von Son­der­borg, der das Fes­t­land Jyl­land – der Nor­den jen­seits Schleswig-Hol­steins — und die Insel Als voneinan­der tren­nt. In Son­der­borg müssen wir auf die Öff­nung der Straßen­brücke um 13:40 Uhr warten. Wir machen gegenüber der Jütländis­chen Uni­ver­sität von Son­der­borg fest. Direkt hin­ter der Uni­ver­sität, unge­fähr 2 km weit­er, liegt Dybbel, wo vor 160 Jahren die Preussen mit der Erstür­mung der „Düp­pel­er Schanzen“ den Krieg für sich entsch­ieden, und Schleswig-Hol­stein fiel an Preußen, his­torisch gese­hen ein Baustein auf dem Weg zum preußisch dominierten deutschen Reich 1871.

Jen­seits von Son­der­borg queren wir die Flens­burg­er Förde und damit die Gren­ze nach Schleswig-Hol­stein. Unser Ziel für heute ist die Mün­dung der Schlei, aber nicht der eher enge Hafen von Maasholm, son­dern die großen Mari­na von Olpenitz, wo auch die Deutsche Gesellschaft zur Ret­tung Schiff­brüchiger (DGzRS) eine Sta­tion besitzt und ein­er ihrer Seenotkreuzer sta­tion­iert ist. In Olpenitz ist genug Platz, wir kön­nen zügig fest­machen, und vor dem Aben­dessen noch einen Spazier­gang an den Strand unternehmen. Die Mari­na ist hochmod­ern, aber die Umge­bung und die serien­hafte Bebau­ung tot­lang­weilig und wenig ein­ladend. Verge­blich suchen wir nach ein­er schö­nen Kneipe für einen Sundowner.

ANITA wartet vor der Uni­ver­sität von Son­der­borg auf die Öff­nung der Brücke

Unser let­zter Tag wird ent­ge­gen aller Prog­nosen doch noch ein son­niger Segelt­ag mit gutem Wind. Von Olpenitz geht es hin­aus nach Süden, am Sper­rge­bi­et Schön­hagen vor­bei, dann südöstlich an Eck­ern­förde vor­bei, am Schwe­de­neck und sein­er Steilküste vor­bei, hinein in die Kiel­er Förde. Zeitweise kön­nen wir eine Schmetter­ling-Segel­stel­lung fahren. Gemütlich und entspan­nt fahren wir an Laboe und seinem Marine-Ehren­mal vor­bei, dann grüßt uns der Leucht­turm von Friedrich­sort. Dahin­ter knick­en wir nach Steuer­bord ab, starten den Motor und nehmen die Segel herunter. Der Liege­platz der ANITA  ist in der Mari­na von Kiel-Stick­en­hörn, gle­ich hin­term Ein­gang, in der ersten Bucht.

Den Abend genießen wir noch gemein­sam bei einem Besuch bei einem guten Ital­iener (Al Gam­bero) in Friedrich­sort. Der vier­tel­stündi­ge Fuß­marsch tut gut.

Ein Bericht von Ralf Heidger

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