2024 war ich das Badesegeln etwas leid und interessierte mich für eine sportlichere Variante unseres schönen Sports … So beginnt ein spannender Törnbericht von Ralf Heidger, den wir hier für alle Freunde des “echten Segelns” in voller Länge veröffentlichen:
In unserer Nachbarschaft, in Walluf, betreibt der Segelclub Rheingau (SCR) eine 12mR Yacht von Abeking & Rasmussen aus dem Jahr 1938, die wie andere 12mR für die Teilnahme an Regatten gebaut worden war. Die ANITA ist fast 22 Meter lang, mit einer Wasserlinie von 14 Metern und hat eine Rumpfgeschwindigkeit von etwa 9 kts, ein Langkieler mit 2,80 m Tiefgang aus Stahl mit Holzbeplankung, mit einem 26 Meter hohen Holzmast, Bermuda-Takelage mit einem 95m² großen Genua, 130 m² großem Hauptsegel, und etwa 3,60 m Breite. Mit Krängung wird ihre Wasserlinie deutlich länger, und sie kann 11 – 12 kts erreichen. Der schmale lange Riss macht das Schiff elegant und schnell, eine Kombination, die mich sehr anspricht. Schon im Winter 2023 fragte ich beim Verein den Törnplan für 2024 an und buchte mich dann für den 13. bis 19. 7. 2024 für den Abschnitt von Kopenhagen nach Kiel ein. Der Törn ging dann von Kopenhagen nordwärts nach Helsingoer, von dort nach Hundested, über den Storebelt nach Ebeltoft in Jütland, als nächstes nach Juelsminde, von dort durch den Lillebelt nach Dyvig auf Als, dann weiter durch Sonderborg an die Schleimündung bei Olpenitz, und von dort schließlich in die Kieler Förde hinein zum Liegeplatz nach Stickenhörn. Bei überwiegend südwestlichen Winden war das gegenüber einem Kurs durch die dänische Südsee die bessere Option.
Die ANITA segelt die Saison von etwa April bis Oktober vor allem in der Ostsee, hoch nach Stockholm und ins Baltikum, passiert den Schärengarten, Gotland, Bornholm und die dänische Inselwelt, taucht auch vor Rügen und Usedom auf, je nachdem wie die Winde stehen. Abschnittsweise werden Teilnehmer und Skipper gewechselt, mal steht eher Regattawettfahrt, mal eher sportliche Überführung mit Ausbildung im Vordergrund. „Rund Fünen“, „Gotland Rund“, „Sandhamn Race“ und andere Rennen auf der Ostsee macht die ANITA unsicher, denn sie ist ein echter Renner und ein Schrecken der Mitbewerber. Von zentraler Bedeutung ist dabei auch die Jugendausbildung, damit die ANITA auch in Zukunft weiter Interessenten findet und unterhalten werden kann.
Vier dicke Festmacherleinen, mit Palstek an Land befestigt
Wir fliegen nach Kopenhagen, fahren vom Flughafen im Süden der Stadt mit dem Taxi in einem großen Bogen rund ums Zentrum zum Tuborg Havn, einer modernen Hafenanlage im Norden Kopenhagens, wo die Crew des Vorabschnittes die ANITA festgemacht und hinterlassen hat. Die Taxifahrt ist mit umgerechnet über 100 € recht teuer (ca. 770 DKK), aber wir sind zu Dritt, und mit dem ganzen Gepäck ist es so deutlich bequemer als mit der S‑Bahn und dem Bus und mehreren nötigen Umstiegen. Wir sind an diesem Samstagmorgen die letzten unserer Crew, insgesamt 8, und die ersten haben bereits am Freitag Lebensmittel eingekauft und verstaut, die Kojen belegt, das Schiff vorbereitet. So ist es nur noch erforderlich, Wasser und Diesel aufzunehmen.
Der Skipper weist uns ein, die Tankstelle liegt gerade am Steg gegenüber, mit ein paar kurzen Impulsstößen und passendem Wind zum Treiben bringen wir die ANITA 20 Meter rüber, machen fest und tanken. Die ANITA wird typischerweise mit 4 dicken Festmacherleinen von ca. 15 bzw. 25 m mit Palstek an Land befestigt, jede Leine wiegt etwa 20 kg. Einholen beim Ablegen wäre daher zu mühsam, es springt einer an Land und macht die vorbereiteten Leinen mit Palstek fest bzw. wirft sie los und die Leinen zurück aufs Schiff. Das Anlegemanöver beginnt meist mit der Vorspring, dann kann der Skipper beim Anlegen in die Vorspring eindampfen, wird dann fortgesetzt mit der Achterleine, dann die Vorleine und die Achterspring. Die Justierung der Leinenlänge erfolgt auf dem Schiff, beim Belegen der Klampen. Man muss gewärtig sein, dass die gerade vorgenommene Belegung immer noch mal nachkorrigiert werden muss, um Lose aus den Leinen zu ziehen. Von kleineren Schiffen wie Sharks, Bavarias und Hanses kenne ich die Bevorzugung des Festmachens an Land auf Slip, ohne Knoten, und zweimaliger Belegung der Klampen auf dem Schiff. Bei der Dicke der Festmacherleinen hier geht das gar nicht richtig, ein merklicher Unterschied.
Die Genua wird von 2 bis 3 Crewmitgliedern hochgezogen
Mittags machen wir uns auf den Weg durch den Oeresund nach Helsingoer. Es frischt auf, die ANITA bekommt Krängung. Wir justieren die Stellung des Großsegels. Bei einem Wendemanöver ist es bei diesem Schiff auch nötig, die Backstagen entsprechend zu justieren (auf der Luvseite lockern, um dem Baum Platz zu lassen, auf der Leeseite straff anziehen, um nicht den Mast zu verlieren). Mit Jaylines sind die Backstagen oben sowohl an Mittel- wie Obersaling befestigt. Das Vorsegel wird noch gewechselt. Die Segel werden in 10 m langen Säcken im Vorschiff aufbewahrt und mit Taljen durch eine Luke nach unten oder oben gezogen. Ist die neue Genua an Deck, wird sie erst einmal aus dem Segelsack geschält. Dabei muss der Sack mit Bändseln an der Tasche an der Reling befestigt werden, damit er nicht davonfliegen kann. Die vorherige Genua wird heruntergelassen, zusammengelegt und in ihrem Sack verstaut. Dann wird sie nach unten gezogen. Die neue Genua wird von 2 bis 3 Crewmitgliedern hochgezogen, dabei ziehen 1 oder 2 das Genuafall am Mast, und 1 steht bereit, mit der Winschkurbel nachzuziehen, was vor allem für den letzten Meter Segelhöhe notwendig ist. Eine Genua ist etwa 45 kg schwer und benötigt zum Hantieren 3 Leute. Folglich muss man die Betuchung genau planen, denn einfach so mal wechseln ist höchst anstrengend.
Wir segeln mit etwa 8 bis 9 Knoten nach Norden, auf halber Strecke wird es sehr neblig, und man kann praktisch keine Landmarken mehr erkennen. Das Steuern erfolgt jetzt nach dem vorgegebenen Track auf dem Raymarine Navigationssystem. Wir müssen uns dabei von dem Verkehrstrennungsgebiet zwischen Helsingoer auf der dänischen und Helsingborg auf der schwedischen Seite freihalten, denn es ist reichlich Transport- und Fährschiffsverkehr auf dem Oeresund unterwegs. Das bedeutet abschnittsweise eher einen Kurs von 355°, dann näher an Helsingoer dran einen Kurs von etwa 5°. Ich merke beim Steuern gegenüber den Erfahrungen mit meinen bisherigen Booten, dass ANITA mit etwas mehr Verzögerung reagiert, und muss aufpassen, dass ich nicht durch zu starke Einschläge am Steuerrad eine Übersteuerung („Regeloszillation“) verursache. Das letzte Stück und das Anlegemanöver im Hafen von Helsingoer unmittelbar vor Hamlets berühmtem Schloss übernimmt zum Glück wieder unser Skipper, denn für die Abmessungen der ANITA fehlt es mir an Erfahrungen.
Wie gewöhnlich hat die ANITA Schräglage
Der nächste Tag führt uns nach ausführlichem Museumsbesuch von Helsingoer nach Westen die Nordküste Seelands entlang nach Hundested. Hundested ist eine Hafenstadt auf Seeland, die auf der östlichen Seite des Eingangs in den Isefjord liegt, von dem aus südlich der Stadt der Roskilde-Fjord abzweigt. Wir kommen auch an dem Hafen Gilleleje vorbei, wo die SY ANITA vor Jahren von Grund auf renoviert und von einer Yawl auf eine Slup umgetakelt wurde. Wir haben sonniges Wetter mit teilweise bedecktem Himmel und guten Südwestwind, so dass wir mit einem Halbwindkurs zügig vorankommen. Wie gewöhnlich hat die ANITA Schräglage. Hinter der Küstennordspitze bei Gilleleje kommt der Wind sehr vorlich, so dass wir vor Hundested fleißig Wenden fahren. Das beansprucht uns vor allem an den beiden Genua-Winschen. Koordiniertes Agieren und gutes Timing ist notwendig: Der Steuermann darf nicht zu schnell durch den Wind gehen. An der Winsch sollte die „alte Schot“ erst losgeworfen werden, wenn die Genua etwas back steht, das unterstützt die Wende des Schiffs und dann kommt die Genua mit Schwung auf die neue Seite. Dann ist so schnell wie möglich die Genuaschot auf der Leeseite anzuziehen und mit 3 bis 4 Windungen auf der Winsch zu belegen, um den Rest der Segelstraffung breitbeinig stehend – Achtung wegen wechselnder Krängung — mit der Winschkurbel zu erledigen. Dabei ist höllisch darauf aufzupassen, dass man auf der Winsch keine Überläufer produziert. Auf einem kleinen Boot kann man das durch einen kurzen Schlenker in den Wind und wegen den geringeren wirkenden Kräften noch leicht korrigieren, auf diesem Schiff ist das nahezu unmöglich und nur mit einer größeren Anstrengung zu beheben. Ähnlich ist beim Fieren aufzupassen: man presst seine flache Hand auf die Leinenwindungen auf der Winschtrommel, während man das Leinenende aus dem Self-Tailer am oberen Ende der Winschtrommel nimmt und fiert.
Weinbrand für die schweren medizinischen Fälle
Wie in fast jedem Hafen kochen wir in Hundested an Bord selbst. Die Kombüse befindet sich direkt steuerbords am Niedergang. Nach hinten liegt die Skipperkajüte mit zwei Kojen, gegenüber der Kombüse Waschraum und Toilette, nach vorn folgt der Salon, dann eine Kajüte mit 4 Schlafplätzen, und schließlich das Vorschiff mit Rohrkojen, die sich mit den Segelsäcken den Platz teilen. Die Kombüse verfügt über 2 kardanisch aufgehängte Gasherde mit 4 Flammen, einen Wasserkocher, eine Spüle mit Pumpe, zahlreiche Schubladen und Schapps, Haken zum Aufhängen der Becher mit ANITA-Motiven, und einer vollständigen Ausstattung mit Töpfen, Pfannen, Tellern, Besteck und Gläsern. Schiffssitte ist auch eine Vollausstattung mit Gewürzen, Südwein, Aperol, Gin und Weinbrand für die schweren medizinischen Fälle. Für alle anderen Wehwehchen gibt es eine ausgezeichnet ausgestattete Bordapotheke, wo sich die Fachkenntnis der verschiedenen Ärzte unter den Mitgliedern im Verein verwirklicht hat. Die Bevorratung in den Schapps umfasst Nudeln, Reis, Müsli, Fertigsuppen, Softgetränke und reichlich Wein und Bier, was uns also trotz der üblichen skandinavischen Einschränkungen in dieser Hinsicht kaum Grenzen auferlegt. Die eine oder andere Weinflasche wird entsprechend niedergemacht, und wir lassen in den Häfen immer viel Leergut zurück. Neben dem abendlichen Aperol- und Weinkonsum gibt es auch immer den Ablegerschluck mit Sherry oder Port für uns selbst und den Gruß an Rasmus, sowie das Anlegerbier am Ende des Segeltages, nachdem wir uns aus dem nassen Seezeug geschält haben. Nur an Grünzeug, Gemüse und Obst herrscht ein gewisser relativer Mangel, aber Skorbut soll ja erst nach 8 bis 12 Wochen einsetzen, und wir haben offenbar andere Prioritäten definiert.
Das Kochen an Bord folgt einem sehr vernünftigen Regelwerk: Schmackhaft und gut gewürzt, möglichst in einem Topf oder maximal zweien bzw. einer Pfanne gekocht oder gebraten, keine „Haute Cuisine“-Ambitionen wegen der anschließend in größerem Umfang zu beseitigenden Flecken und Fettspritzer und übermäßigem Wasserverbrauch, das Fertigzeug nur während der Fahrt mittags als Snack, denn etwas Warmes im Bauch tagsüber tut bei den ersten drei Regentagen einfach gut, dazu belegte Brote und einen Apfel und dann passt das. Abends kochten wir ein schon vorbereitetes und mitgebrachtes Szegediner Gulasch mit Kartoffeln, Spaghetti Carbonara, Maultaschen mit geschmelzten Zwiebeln, Bratreis mit Kurkuma, Pilzen, Zwiebeln und Hackfleisch, Spaghetti mit Cabanossi, Zwiebeln und Tomaten, Eisbergsalat mit Tomaten, Zucchini und Zwiebeln, Linsensalat mit Olivenöl, Cabanossi, Ei, Zwiebeln und Currypaste, und als Snacks gab es Käseplatte mit Orangensenf und Nüssen, belegte Brote mit Gurken, Fertigsuppen und Wiener Würstchen mit Senf.
“Tütensuppe” und das Leben und Sterben von Kanonieren
Das Seeland’s Reff, eine lange dünne Landzunge am Nordwestende von Seeland, erstreckt sich bis zum „Langen Jan“, einem Leuchtturm in der Ostsee, dessen Sektorlicht die Untiefen in der Umgebung anzeigt. Wir machen einen langen Schlag von Hundested rüber nach Ebeltoft auf Jütland. Die lange Landzunge schirmt uns ab von dem Fetch des Südwestwindes, und kaum haben wir die Abdeckung verlassen, kriegen wir ordentlich Seegang und Gischt. 100 km nördlich von uns liegt irgendwo das berüchtigte Skagerak mit seinen Kreuzseen, und man kann sich bei unseren weitaus weniger anspruchsvollen Bedingungen ausmalen, wie es auch noch sein könnte. Auf das Stichwort „Tütensuppe“ fängt einer der Crewmitglieder an, sich zu übergeben, und wir müssen ihn erst mal mit dem Karabiner an der Reling einpicken, damit er nicht bei der üblichen Ermüdung und Konzentrationslosigkeit bei Seekrankheit von Bord fällt.
Die kleine Insel Hjelm vor dem Ebeltoft Vig verlangt uns mit seinen Untiefen noch einige Wendemanöver ab. Wir beobachten eine englische Yacht mit ähnlichen Problemen wie wir. Abends gegen 20 Uhr erreichen wir dann Ebeltoft und machen unmittelbar vor Museum und Museumsschiff am Kai fest. Unserem Seekranken geht es auch wieder gut, eine robuste Natur.
Am nächsten Morgen schauen wir uns das Museum und die Fregatte „Jylland“ genauer an. Im Museum gibt es ähnlich wie in Helsingoer jede Menge Schiffsmodelle, und hier werden zusätzlich noch die Verhältnisse auf einem frühen Dampfer und auf dem Kanonendeck eines Kriegsschiffes erklärt. Die „Jylland“ war an dem Seekrieg des preußisch-dänischen Krieges Februar bis Oktober 1864 beteiligt und in einem Gefecht vor Helgoland gegen die Preußen und Österreicher nach kurzer aber heftiger Kanonade erfolgreich. Die Verhältnisse für einen Kanonier auf dem Kanonendeck eines Kriegsschiffes mag man sich heute nicht mehr vorstellen: das ohrenbetäubende Gebrüll der Kanonen und Einschläge, die umherfliegenden Fetzen von Granaten, Kameraden und Holzsplittern, die Zufälligkeit des Lebens oder Sterbens in einer halben Stunde des Gefechts, und das Chaos und die blutige Sauerei hinterher. Der dänische Maler Christian Moelsted hat das in einem großen Ölbild in dem Museum festgehalten, und ich stehe lange sinnierend davor. Auch das ausgestellte Schiff illustriert durch seine detailtreue Ausstattung die damaligen Verhältnisse an Bord. Am Ende gewannen aber doch die Preußen und Österreicher durch die erfolgreiche Erstürmung der Düppeler Schanzen bei Sonderborg, und die geschwächte dänische Armee musste sich geschlagen geben. 2 Jahre später schlugen die Preußen die Österreicher im Deutsch-Deutschen Krieg, und 1871 rief Bismarck in Versailles nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich das deutsche Reich aus.
Leichtsinn können wir uns nicht leisten
Von Ebeltoft geht es dann in recht verregneten Bedingungen südwärts die Küste Jütlands entlang nach Juelsminde. Wir folgen genau der Betonnung, denn wegen den Untiefen müssen wir einige Haken schlagen. Die Route wurde vorher im Navigationssystem genau ausgetüftelt und abgelegt, eine wesentliche Erleichterung für diesen Part des Törns, und wir können obendrein noch voll unter Segeln laufen, ohne den Motor anzuwerfen. In Juelsminde kommen wir bei sonniger Abendstimmung an und machen fest. An der Hafenmole kommen Menschen zusammen, um der Einholung der dänischen Flagge beizuwohnen — und den einen oder anderen verstohlenen Blick auf das schöne deutsche Traditionsschiff zu werfen, das vor ihrer Nase angelegt hat. Eine junge Dänin in Uniform spielt dazu die dänische Hymne auf dem Horn. Wir legen dem Baum der ANITA den Sonntagsstaat an und stellen uns auch in Reihe auf, damit es ein ordentliches Bild gibt.
Eine sonnige verträumte Stimmung ist in Juelsminde, und wir schlendern auch gemütlich in dem Örtchen herum. Ein Teil der Crew ergreift die Gelegenheit zum Einkaufen, und es gibt folglich einen frischen Salat. Auch hier sind die sanitären Einrichtungen für Freizeit-Seeleute in gutem Zustand wie überall bisher in Dänemark, und wir nutzen das ausgiebig. Im Hafen liegt auch ein hübsches Plattbodenschiff, und hinter uns kommt später am Abend eine Motoryacht mit Unterwasser-Beleuchtung an. Dem muss ich natürlich hier mehr Rechnung tragen als dem Traditionsschiff, denn für mich ist die Unterwasser-Beleuchtung seltener.
Von Juelsminde auf Jütland geht es am nächsten Vormittag nach Dyvig weiter auf der Insel Als. Dazu müssen wir den Lillebelt bei Middelfart durchfahren. Die Umgebung ist sehr malerisch, überall kleine Inseln und in den Sonnenlücken leuchtende Felder vor manchmal dunklem regenschweren Himmel, wir müssen aber auf die Tonnen achten, um nicht in Untiefen zu geraten. Unsere 2,80 Meter Tiefgang schränken unseren Spielraum doch deutlich ein, und manchen Leichtsinn können wir uns nicht leisten, den wir uns auf kleineren Booten erlauben könnten.
Der kleine Belt trennt die Ostseeinsel Fünen vom Festland. Bei Middelfart spannt sich die grandiose Lillebaelt Broen (1970) übers Wasser. Diese Brücke wurde dann 1998 übertrumpft durch die Brücke über den Storebelt von Nyborg auf Fünen nach Halskov auf Seeland, und diese dann schließlich 2000 durch die von Kopenhagen über den Oeresund nach Malmö in Schweden. Wegen der dänischen Brückenbaukunst kann man seitdem mit dem Auto von Deutschland nach Schweden fahren, ohne eine Fähre benutzen zu müssen.
Wir fahren die Windungen des Belts unter Motor ab, und hinter Middelfart, wo sich der Belt etwas öffnet und verbreitert, setzen wir wieder Segel. Eine 412er Yacht und eine 40er Bavaria segeln keck und schnittig an uns vorbei. Wir schließen gelassen unsere Arbeit am Segelsetzen ab, und demonstrieren dann ganz cool, wie Länge läuft. Nach einer Viertelstunde liegen beide Schiffe über 10 Bootslängen hinter uns. Mit hohem Tempo geht es Richtung Als, wo wir am Dyvig Badhotel festmachen wollen. An diesem Tag kommen wir über die 10 Knoten-Marke.
Wir folgen unter Motor den Stecken durch die Untiefen vor Dyvig, einer Idylle auf Als. Der dänische Reeder und Milliardär Karl Michael Jebsen hat sich hier in seiner Heimat ein Luxushotel mit Marina im traditionellen skandinavischen Stil neu bauen lassen. Das Innere ist stilvoll, es gibt eine gemütliche Wirtschaft und ein Gourmetrestaurant. Eine kurzfristig gebuchte Nacht ist für 1000 € pro Zimmer zu haben, die gewöhnlichen Preise liegen bei 350 bis 450 €.
Der weitere Weg führt uns am nächsten Morgen weiter durch den Als Fjord in den Als Sund von Sonderborg, der das Festland Jylland – der Norden jenseits Schleswig-Holsteins — und die Insel Als voneinander trennt. In Sonderborg müssen wir auf die Öffnung der Straßenbrücke um 13:40 Uhr warten. Wir machen gegenüber der Jütländischen Universität von Sonderborg fest. Direkt hinter der Universität, ungefähr 2 km weiter, liegt Dybbel, wo vor 160 Jahren die Preussen mit der Erstürmung der „Düppeler Schanzen“ den Krieg für sich entschieden, und Schleswig-Holstein fiel an Preußen, historisch gesehen ein Baustein auf dem Weg zum preußisch dominierten deutschen Reich 1871.
Jenseits von Sonderborg queren wir die Flensburger Förde und damit die Grenze nach Schleswig-Holstein. Unser Ziel für heute ist die Mündung der Schlei, aber nicht der eher enge Hafen von Maasholm, sondern die großen Marina von Olpenitz, wo auch die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) eine Station besitzt und einer ihrer Seenotkreuzer stationiert ist. In Olpenitz ist genug Platz, wir können zügig festmachen, und vor dem Abendessen noch einen Spaziergang an den Strand unternehmen. Die Marina ist hochmodern, aber die Umgebung und die serienhafte Bebauung totlangweilig und wenig einladend. Vergeblich suchen wir nach einer schönen Kneipe für einen Sundowner.
Unser letzter Tag wird entgegen aller Prognosen doch noch ein sonniger Segeltag mit gutem Wind. Von Olpenitz geht es hinaus nach Süden, am Sperrgebiet Schönhagen vorbei, dann südöstlich an Eckernförde vorbei, am Schwedeneck und seiner Steilküste vorbei, hinein in die Kieler Förde. Zeitweise können wir eine Schmetterling-Segelstellung fahren. Gemütlich und entspannt fahren wir an Laboe und seinem Marine-Ehrenmal vorbei, dann grüßt uns der Leuchtturm von Friedrichsort. Dahinter knicken wir nach Steuerbord ab, starten den Motor und nehmen die Segel herunter. Der Liegeplatz der ANITA ist in der Marina von Kiel-Stickenhörn, gleich hinterm Eingang, in der ersten Bucht.
Den Abend genießen wir noch gemeinsam bei einem Besuch bei einem guten Italiener (Al Gambero) in Friedrichsort. Der viertelstündige Fußmarsch tut gut.
Ein Bericht von Ralf Heidger