Der Mann hat Biss, scheint kein Weichei zu sein. Auch wenn das Wetter ungemütlich ist, zieht Khashayar Kiabi im Schiersteiner Hafen seine Bahnen. Mit ruhigem, kraftvollem Paddelschlag trotzt er den Widrigkeiten des Wetters.
Überhaupt ist das Leben des 25-Jährigen von Widrigkeiten geprägt. Aufgewachsen ist der junge Mann in Bandar-Anzali im Norden des Iran. Die Stadt ist der wichtigste persische Handelshafen am Kaspischen Meer mit 120000 Einwohnern. Mit 13 Jahren begann Khashayar Kiabi dort mit dem Kanusport. Einer seiner Brüder paddelte ebenfalls und machte ihm die Sportart schmackhaft. „Ich war ein guter Paddler, aber nicht überragend“, schätzt er seine damaligen Fähigkeiten ein.
Der Sport war im Iran nicht sein Problem. Unannehmlichkeiten hatte er wegen seiner Religion. Kiabi ist Christ und damit im streng muslimischen Iran natürlich ein gewaltiger Außenseiter. Schon mit 15 Jahren setzte er sich deshalb nach Thailand ab, arbeitete dort fünf Jahre in einem Reisebüro. Es folgten fünf weitere Jahre in Laos, wo er in einer Import-/Exportfirma tätig war. An Paddeln, dazu noch als Leistungssport, war in dieser Zeit nicht zu denken.
Die Tatsache, dass zwei seiner Brüder im Stuttgarter Raum leben und ein Onkel in Karlsruhe, führte ihn dann nach Deutschland. Genau am 9. September 2019 landete der junge Mann am Frankfurter Flughafen. „Dieses Datum werde ich mein Leben lang nicht vergessen“, ist sich Kiabi sicher.
Es folgten Stationen in Frankfurt, Gießen und Büdingen, ehe der 25-Jährige in Wiesbaden landete. Hier will er nun Fuß fassen. Derzeit arbeitet er in einem thailändischen Restaurant. „Doch eigentlich möchte ich im Bereich Grafik und Design tätig werden“, soll dieser Job nur eine Übergangslösung sein. Was jedoch noch fehlt, ist eine Aufenthaltsgenehmigung. „Das Verfahren läuft gerade“, erläutert Lutz Vonhausen, Trainer im Wassersportverein Schierstein (WVS), der den jungen Iraner nun sportlich unter seine Fittiche genommen hat.
„Paddeln gibt mir Energie“, ist diese Sportart für Kiabi ein wichtiger Katalysator in seinem augenblicklichen Leben. „Beim Paddeln vergesse ich meine Probleme und alles ist gut.“ Auch die Corona-Pandemie ist dann kein Thema. Im August hatte Kiabi den Kontakt zu den Verantwortlichen im WVS hergestellt. „Er ist sehr aufgeschlossen und hat sich sehr schnell integriert“, lobt Lutz Vonhausen, der noch bis vor Kurzem schneller im Boot unterwegs war als sein Schützling. Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. „Dennoch muss man abwarten, wie seine weitere Entwicklung ist“, gibt sich Marc Poth, ebenfalls Trainer Im WVS und einstiger deutscher Top-Kanute, vorsichtig. Schließlich saß der junge Iraner zehn Jahre nicht in einem Rennkajak.
Dennoch hat Khashayar Kiabi mehrere Träume. Die Aufenthaltsgenehmigung ist einer, den er sich unbedingt erfüllen muss. Das Erlernen der deutschen Sprache ein zweiter. „Die Sprache ist schwer“, gesteht er denn auch ein. Laotisch sei einfacher gewesen. Und noch viel schwerer wird es sein, sich den dritten Traum zu erfüllen, den Traum von Olympia. „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“ Den entsprechenden Biss hat er zumindest und ein Weichei ist er auch nicht. Was ja schon einmal gute Voraussetzungen sind. Seine Paddeltechnik hätte er zumindest schon einmal gravierend verbessert, lobt Vonhausen. Und die fehlende Wettkampferfahrung sei auch wett zu machen. Kiabi hat in seinem Leben schon schlimmere Herausforderungen gemeistert.
Nachtrag: Dieser Bericht ist am 10. Dezember auch im Wiesbadener Kurier erschienen.