Wie ist das: Wollen junge Sportlerinnen und Sportler eigentlich wieder hart trainieren – oder ist ihnen während der Corona-Zwangspause ein bequemerer Zeitvertreib eingefallen? Vor allem, da ja auch motivierende Wettkämpfe für längere Zeit ausfallen.
Das Ergebnis macht Freude. „Ich merke schon, wer seine Trainings-Hausaufgaben nicht so ganz gemacht hat“, schmunzelt Birgit Barth, Abteilungsleiterin Kanurennsport im Wassersport-Verein Schierstein 1921 e.V., beim schrittweisen Neustart des Paddeltrainings nach der Corona-Pause, „aber, was gut ist: Fast alle sind jetzt zum Training wiedergekommen“. – Da muss den Kids also irgendetwas viel Spaß machen. Birgit Barth trainiert im WVS mehr als ein Dutzend Kinder im Alter zwischen sieben und zehn Jahren. Insgesamt sind derzeit rund 50 Paddler (m/w) in der Kanurennsport-Gruppe des WVS aktiv.
In der Altersgruppe 13–18 Jahre trainieren die Leistungssportler im Kanurennsport. Einige von ihnen paddeln sogar bei deutschen Meisterschaften. 2019 hatte Marvin Alves da Cunha einen deutschen Meistertitel für den WVS geholt. Für fünf dieser Kaderathleten gab es nur eine zweiwöchige Corona-Pause, dann durften sie in ihren Einerkajaks mit gebührend Abstand wieder im Schiersteiner Hafen trainieren. Grund für die Selektion der Kaderathleten: Der volle Trainingsbetrieb war im Verein nicht zu stemmen – die Corona-Bestimmungen hatten über mehrere Wochen nur paarweises Training zugelassen.
Kleine Gruppe schickt Trainer in den Schichtbetrieb
Die exklusive Behandlung gefällt den jungen Kaderathleten: „Nicht in der ganzen Gruppe zu trainieren, ist ja auch schön … jetzt zuhause wäre es ja total langweilig“ (Tristan Krautkrämer). „In der kleinen Gruppe kann man mehr auf uns achten“ (Katharina Nikolay). „Ich fand’s so ein bisschen besser“ (Daniel Bürgel). „Gut, dass wir uns haben und uns selbst anspornen können (Sina Kretschmer)“ „… wir sind ja etwa gleich schnell“ (Katharina Nikolay). Größere Gruppen zu trainieren verbieten die derzeitigen Abstandsregeln. Und selbst die Betreuung dieser kleinen Gruppe fordert von den ehrenamtlichen Trainern pausenlos Doppelschichten. „Die Stimmung ist ganz angenehm“, bestätigt Marc Poth, der diese Gruppe trainiert, „aber das Training ist langwierig – manchmal bin ich drei Stunden lang auf dem Wasser (im motorisierten Begleitfahrzeug).“ Dennoch wird trainiert – sechsmal pro Woche. Und jede Woche gibt es einen neuen Trainingsplan. Täglich stimmt und wechselt sich dazu Marc Poth mit seinem älteren Trainingskollegen Lutz Vonhausen ab, dem stellvertretenden Abteilungsleiter Kanurennsport im WVS.
Nicht erlaubt waren und sind Trainings in geschlossenen Räumen. Deswegen haben einige Sportler vom WVS sogar Geräte mit nach Hause bekommen. Aber viele haben wohl zuhause nicht besonders viel damit trainiert, vermuten die Trainer.
Wie auch: Sportler-Motivation besteht vor allem darin, sich in Wettkämpfen mit anderen zu messen. Und wenn Wettkämpfe in absehbarer Zeit ausbleiben, wäre es sehr nachvollziehbar, dass Kinder und Jugendliche einfach keine Lust mehr haben, sich quasi umsonst zu plagen. Immerhin ist ihr Sport ein Hobby, keine Pflichtveranstaltung wie die Schule oder der Beruf bei den Erwachsenen.
Motivation muss von den Sportlern selbst kommen!
Marc Poth, der Trainer, sieht das cool: „Die Motivation muss von den Sportlern selbst kommen“. Wohl, weil andere Rezepte nicht ziehen. So hatte der WVS beispielsweise versucht, einen Ersatz für das wegen Corona ausgefallene, beliebte Frühjahrs-Trainingslager in Frankreich unter Corona-Bedingungen vor Ort anzubieten. Es hat nicht wirklich funktioniert. Da ziehen wohl mehr die Selbstmotivation und das gute Vorbild der zehn Kanu-Trainerinnen und ‑Trainer im WVS, unter ihnen auch Eltern. Denn während die fünf Kaderathleten ihre Boote zum Paddelsteg tragen (der gebotene Abstand ergibt sich durch die fünf Meter langen Boote von selbst), macht sich eine Gruppe jüngerer Paddler unter Anleitung eines Trainers vor dem WVS-Vereinsgebäude fertig für Trocken-Übungen an Land: Sprints, Gymnastik und mehr — natürlich in gebotenem Abstand, was die Kinder ein wenig verloren in der Landschaft erscheinen lässt. Aber: Sie sind da und machen eifrig und fleißig mit.
Der Wettbewerb
macht’s spannendWill Trainer werden: Gunvald Kirchner (beim Erklären der Steuerung) Ist schon Trainer:
Marc Poth
Schön wäre, wenn es noch mehr wären, denkt so mancher Verantwortliche im WVS. Denn Wassersport ist eben nicht so attraktiv wie beispielsweise Fußball. Obwohl es hier reges Zuschauerinteresse wegen der vielen Spaziergänger am Schiersteiner Hafen gibt. Sportler-Nachwuchs, am liebsten schon im Kindesalter, ist im WVS hoch willkommen.
Zwei Quereinstiger, bei den anderen Eltern-Vorbild
Wie sind denn die fünf Kaderathleten zum Paddeln gekommen? Durch die Eltern, sagen die meisten.
Aber der deutsche Meister Marvin Alves da Cunha nicht: Er war beim Schwimmen. Schulkameraden hätten „so ein bisschen gepaddelt“, er dann auch. Da war er zehn oder elf. Und vier Jahre später ist er Deutscher Meister in seiner Altersklasse. Eine tolle Entwicklung! Auch Gunvald Kirchner ist ein „Quereinsteiger“: Er war Turner. Doch die Wettkämpfe waren für ihn langweilig geworden, da die Turner da ja nur einzeln antreten: „Beim Paddel-Wettkampf tritt man direkt nebeneinander an — das ist spannend!“ Gunvald wird gerade als Trainer eingearbeitet. Er hatte immer schon vor, Trainer zu werden, doch die Corona-Epidemie macht ihm vermutlich einen Strich durch die Rechnung: „Dieses Jahr fällt dafür praktisch weg“, befürchtet er, danach müsste er sich fürs Abitur vorbereiten und dann will er ein naturwissenschaftliches Studium beginnen.
Und Marc Poth, der Trainer: Was motiviert ihn in diesen Tagen, seine Athleten trotz fehlender Wettkampf-Motivation ständig bei Leistung zu halten? „Ich will etwas zurückgeben“, sagt er. Denn er war selbst mit 13 Jahren erstmals Deutscher Meister, dann weitere Male und 2014 schließlich Europa- und Weltmeister bei den Junioren. In seiner sportlichen Entwicklung hat er bei mehreren anderen Vereinen trainiert und ist dort sehr gefördert worden. Heute ist er 24, Berufsfeuerwehrmann in Offenbach am Main und seit nicht einmal zwei Jahren Trainer im Kanurennsport des WVS. Mit großem Erfolg. Sein Ziel: Dass WVS-Sportler über die nächsten Jahre unter den Top-Ten im süddeutschen Raum mitpaddeln. Das ist jetzt wegen des Corona-Tiefschlags nicht einfacher geworden. Umso mehr achtet er im Training auf Feinheiten. Sein Ideal dabei: Dass die Sportler mit ihrem Boot eine harmonische Einheit bilden, dass alles wie im Fluss ist. Buchstäblich.
Die Voraussetzungen, seine Ziele als Trainer zu erreichen, sieht Marc Poth beim WVS gegeben: „Es gibt hier noch Potenzial nach oben, und es macht Spaß … wir bekommen eigentlich alles, was wir brauchen“ – einschließlich der Betreuung der Sportler durch eine Physiotherapeutin. Die Maßnahmen des Vereins zur Eindämmung der Corona-Epidemie findet Poth logisch und richtig. Gleichzeitig hofft er, dass in diesem Jahr wieder Regatten stattfinden können. Erfolge hätten sich seine Sportlerinnen und Sportler redlich verdient. – Und er selbst sicherlich auch.